Der Lodestone

Geheime Geschichten aus den Schatten

Der Vorhang fällt

Als Krieger des LichtsAls Krieger des LichtsAls Krieger des LichtsAls Kriegerin des LichtsAls Kriegerin des LichtsAls Kriegerin des Lichts

„Emet-Selch!“

Gerade als ich die Hallen des Kapitols verlassen wollte, rief mir eine vertraute Stimme hinterher. Ich unterbrach meinen Schritt und drehte mich um. Wie ich mir schon dachte, kam ein junger Mann mit einem – vergleichsweise – kleinen Körper und schnellem Schritt auf mich zu. Er trug ein weißes Gewand und sein Gesicht war mit einer roten Maske bedeckt, was seine Mitgliedschaft im Rat der Vierzehn bezeugte. Es konnte sich nur um Bruder Elidibus handeln. Er sah meinen verwunderten Blick, holte tief Luft und fragte mich feierlich:

„Weißt du etwas über den nächsten Punkt auf der Tagesordnung? Diese Vulkangeschichte.“

„Ja. Es geht um einen großen Ausbruch, der bevorsteht ... Soweit ich mich erinnere, ist es aber keine allzu ernste Angelegenheit.“

Dem Rat war berichtet worden, dass der feueraspektierte Äther einer bestimmten Vulkaninsel höchst instabil war, ein Zeichen für einen bevorstehenden Ausbruch. Und ja, da war ein Dorf, umgeben von weiten Feldern. Wenn sich die Vorhersage als richtig herausstellte, würde alles unter einer gewaltigen Wolke aus Asche und Rauch versinken.

Trotzdem gab es nichts, worüber man Aufhebens machen sollte. Wie immer würden sich die Sterblichen den Naturgesetzen fügen und in einer primitiven Erklärung Zuflucht suchen. Darüber hinaus war es doch niemandem verwehrt, die Insel aus eigener Kraft zu verlassen. Im Rat würden wir aus Prinzip über die Nützlichkeit einer Intervention diskutieren, um dann zu der gleichen Schlussfolgerung zu gelangen.

Dass Elidibus sich nun aber eigens die Mühe machte, mich persönlich zu besuchen, nur um über diese Angelegenheit zu sprechen ... Mir schwante eine lästige Zeitverschwendung.

„Azem ist zum Vulkan gegangen. Er will den Vulkanausbruch verhindern.“

Ich runzelte die Stirn. Was hat das schon wieder mit mir zu tun? Nachdem ich meinen Ärger unterdrückt hatte, entschied ich mich für eine herzlichere Antwort: „Ach ja? Und wie will Azem das bitte schön anstellen?“ Elidibus aber fuhr mit einer anderen Frage fort und machte dabei seine charakteristische gewissenhafte Miene.

„Sagt dir Ifritah, der Geist der Flammen, etwas?“

„Natürlich. Er ist eine von Lahabreas besten Kreationen.“

Bei diesen Worten lächelte Elidibus, als hätten seine Mundwinkel für einen Augenblick die Ernsthaftigkeit vergessen. „Ja, richtig, es ist ein Meisterwerk!“, platzte er mit uneingeschränkter Begeisterung heraus. Ich konnte spüren, wie sehr er Lahabrea bewunderte – wie sehr er uns alle bewunderte.

Normalerweise hätte ich seine Reaktion amüsant gefunden, wenn auch etwas peinlich. Aber in diesem Fall versuchte ich hauptsächlich zu verstehen, was er damit beabsichtigte, weshalb meine Stirn wieder Falten schlug.

Ifritah, Geist der Flammen. Eine schaurige Entität, die aus konzentriertem Feueräther geschaffen wurde. Ich hatte eine klare Vorstellung davon, wie Azem den Ausbruch verhindern wollte: Da der Vulkan zu viel Äther in sich barg, musste Azem seine gesamte sprudelnde Energie in diese monströse Form bringen und sie dann an einem sicheren Ort zerstreuen – indem er die Kreatur zerstörte.

Er konnte diesen Plan jedoch nur mit Zustimmung einer ganz bestimmten Person ausführen: dem Verwalter des Konzepts von Ifritah, seinem Erfinder in gewisser Weise. Und wenn es nicht Lahabrea selbst war, dann konnte es sich nur um einen handeln: den Direktor des Büros des Architekten, der für alle Ideen verantwortlich war und der zufällig ein alter Freund von mir war. Seine Zustimmung war erforderlich, um Zugang zu den besten Ideen zu erhalten.Ich stellte mir vor, wie er Azem mit seinem warmen, aber geheimnisvollen Lächeln eine sichere Reise wünschte. Ich genoss es innerlich so sehr, dass meine Maske auf meinem Gesicht erschien, ohne dass ich es überhaupt bemerkte.

Als Elidibus dies sah, verstand er, dass er sich nicht weiter erklären musste.

„Ich mache mir keine allzu großen Sorgen, aber wenn irgendetwas passiert, wird die Schuld wieder Azem zugeschoben werden. Geh mit ihm, es ist besser.“

„Gut, ich glaube, ich habe verstanden ... Aber ist es nicht ein wenig ungewöhnlich, dass Elidibus, der Fürsprecher, sich auf diese Weise einmischt?“

„Ich ergreife für niemanden Partei. In dieser Vulkangeschichte ist noch nichts entschieden. Ich habe die Meinung aller zu respektieren – auch die von Azem.“

Die Gelassenheit in seiner Antwort nahm mir jeden Impuls, ihm zu widersprechen oder ihm zuzustimmen. Ich zuckte nur mit den Schultern und dachte, dass Azem ein gewaltiges Glück hatte, ungefähr zur gleichen Zeit wie ein solch versöhnlicher Vermittler zu leben.

„Übrigens, hat er dir erzählt, warum er so sehr daran interessiert ist, diesen Ausbruch zu verhindern?“, fragte ich Elidibus, bevor er ging.

„Nicht wirklich ...“, antwortete er nachdenklich. Seine Rolle als Fürsprecher zwang ihn, genau zu sein, und er versuchte zweifellos, sich ausführlich an sein letztes Gespräch mit Azem zu erinnern. Er hob bald den Kopf, als wäre er von einem Blitz der Klarheit getroffen worden, und enthüllte es mir auf die ernsteste Weise, als ob wir ein eifersüchtig gehütetes Geheimnis teilten.

„Er sagte einmal, dass die auf der Insel angebaute Traube von unvergleichbarer Süße sei. Ja, in seinen Augen ist es zweifellos die Mühe wert, dieses kostbare Gut zu bewahren, auch wenn es bedeutet, gegen die natürliche Ordnung der Dinge zu verstoßen!“

„Äh, ja. Wenn du es sagst.“

Um die Offenheit meines lieben Freundes nicht zu beleidigen, achtete ich darauf, mir nichts anmerken zu lassen, schwor jedoch, dass der Liebhaber der Traube und sein Komplize eines Tages eine gehörige Predigt erhalten sollten. Elidibus schloss, indem er verständnisvoll sagte: „Immerhin bringt Azem uns etwas frischen Wind“, und ging weiter.

So war er, der Fürsprecher: Ein junger Mann, der sich ganz seiner Arbeit widmete, sowie seinen dreizehn Kollegen, die er respektierte und schätzte. Er war der kleine Schützling der Gruppe, den jeder mochte. So sehr, dass selbst der pragmatischste von uns seinen Herzensschmerz kaum zu unterdrücken vermochte, als wir erkannten, dass Elidibus von allen am besten geeignet war, als Kern für Zodiarks Beschwörung zu dienen.

Deswegen traf uns der Schock über das unerwartete Widertreffen mit ihm auch so vehement.

Dank Zodiark, dem ernannten Willen des Sterns, war das Leben gerade der Apokalypse entkommen. Über die heikle Frage der Zukunft gingen die Meinungen allerdings weit auseinander. Die Mehrheit wollte unserem Retter das neu entstehende Leben darbieten, um im Gegenzug diejenigen unserer Brüder zurückzubekommen, die ihm geopfert worden waren. Die anderen bestanden darauf, dass der Planet und seine Zukunft allein dem neu sprießenden Leben gehöre.

Und gerade als wir uns diesem schrecklichen Dilemma gegenübersahen, fiel etwas von Zodiark ab. Eine unbestimmte Masse, die sich wand und zappelte ... bis sie vor unseren verblüfften Augen allmählich eine uns ähnliche Gestalt annahm. Als diese Mauser endlich beendet war, zeigte dieses seltsame Wesen etwas, das – äußerst vage – wie ein Lächeln aussah.

„Mach dir keine Sorgen. Der Rat wird die richtige Entscheidung treffen. Und die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Ich, Elidibus, werde dabei helfen.“


Dann vergingen die Jahre, mehr als ich zählen konnte.

Nachdem meine Mission als Solus, Kaiser von Garlemald, abgeschlossen war, kehrte ich in die Dämmerung des Raumes zurück, der die Welten trennt, zu meinem Versteck, wo mich meine erste lange Pause seit Ewigkeiten erwartete.

Nachdem ich darauf geachtet hatte, meine fleischliche Hülle in der primitiven Welt zu belassen, war ich ein formloses Wesen, vergleichbar mit einem wandernden Geist. Also beschloss ich, zu meiner einstigen Gestalt zurückzukehren, als ich noch ich selbst war. Ich dachte, dass ein langer Schlaf die zweite Haut, die ich so lange über meinen alten Gesichtszügen getragen hatte, ein für alle Mal abfallen lassen würde.

Vielleicht war es ein Instinkt der Selbsterhaltung, wenn überhaupt noch etwas zu behalten war ... Tatsächlich hatte ich mehr als einmal über den einfachen Ausweg nachgedacht, nämlich alles von mir zu werfen. Dann dachte ich über den Zustand nach, in dem sich die beiden anderen ursprünglichen Ascians befanden – gerade genug, um mich davon zu überzeugen, dass meine Bindung an mein materielles Mark doch nicht nur sentimentaler Natur war.

„Emet-Selch!“

Eine Stimme weckte mich aus dem Schlaf. Ich ignorierte sie und wünschte mir, man würde einen müden alten Mann in Ruhe lassen. Bei allem Respekt näherte sich der Eindringling weiter und wiederholte seinen Gruß. Obwohl seine Stimme mit der identisch war, die mich vor so langer Zeit am Eingang zum Kapitol gerufen hatte, dachte ich, ich hätte jemand anderen gehört. Vielleicht, weil sich sein Ton, seine Einstellung und alles an ihm in der Zwischenzeit radikal verändert hatten. Oder vielleicht eher, weil er sich buchstäblich verwandelt hatte.

Wie auch immer, Elidibus stand jetzt neben mir. Sehr langsam kündigte er mir an:

„Lahabrea ist nicht mehr.“

Mit einem Ruck stand ich vor meinem Gesprächspartner, der seinerseits vollkommen regungslos dastand. Es folgte eine lange Stille, die Bände über das Gewicht der Worte sprach, die er verwendet hatte: „Lahabrea ist nicht mehr.“

Wenn er von seinem Tod gesprochen hätte, wäre die Wirkung viel geringer gewesen. Immerhin ist der Tod für unsere Art niemals endgültig. Aber dieser Ausdruck klang unwiderruflich.

„Wir wussten, dass es früher oder später passieren würde.“

Während Elidibus' Worte in meinen Ohren hallten, schloss ich meine Augen und seufzte tief.

Nun, er hatte recht. Lahabrea war lange Zeit der unruhigste, wenn nicht der rücksichtsloseste von uns dreien gewesen. Er würde vor nichts Halt machen, um sein Ziel zu erreichen: Reisen zwischen Welten, Transformationen aller Art ... Ein kopfloser Ansturm, der ihn langsam aber sicher zu seiner Zerstörung führte. In letzter Zeit hatte er daran gearbeitet, eine Nova auszulösen, obwohl die letzte gerade erst stattgefunden hatte ... unter seiner Führung.

Sein Temperament erinnerte mich an das Bild eines lodernden Infernos, das zweifellos von all diesen erhabenen Wesenheiten des Feuers inspiriert war, die er geboren hatte, sei es der unsterbliche Phönix oder der flammende Ifritah. Im Zenit seiner Karriere lebte seine eigene Flamme, sie war wunderschön – und wie jede Flamme war sie dazu verdammt, zu erlöschen, nachdem sie sich selbst verzehrt hatte.

Ich hob langsam meine Augenlider und beobachtete Elidibus aufmerksam. Sein Gesicht war unter seiner Maske verborgen, bis auf seinen Mund, den er fest geschlossen hielt und der keine Emotionen zeigte. Seine einst offensichtliche Hingabe an seinen Bruder war jetzt nicht mehr zu erkennen, und ich fragte mich, ob es sie noch gab.

„Emet-Selch?“

„Entschuldige. Es ist nur, dass du mich ein wenig an die von Lahabrea geschaffenen Kreaturen erinnerst ...“

„Geschaffene Kreaturen ...“

Elidibus murmelte etwas, und ich spürte deutlich die Farbe der Verwirrung in seiner Aura. Er konnte sich nicht erinnern, wusste aber, dass es etwas gab, das er verloren hatte. Ich sah, wie er seine Fäuste ballte.

Seit der Fürsprecher wieder vor dem Rat der Vierzehn aufgetaucht war – weniger Lebewesen als Personifikation eines mächtigen Verlangens – , hatten sich die Zeiten geändert, und er auch. Mit jedem Jahr hatte er etwas von dem verloren, was ihn einst definierte.

„Elidibus. Bist du sicher, dass du nicht in deinen Kristall blicken willst?“

Damals, als Lahabrea und er noch frei von jeglichen Entfremdungen waren, wurden die Erinnerungen, die wir im Rat aneinander hatten, in Kristallen gespeichert, die unter anderem für die Ausbildung späterer Generationen nützlich waren. Elidibus hätte mithilfe seines Kristalls jederzeit sein Gedächtnis auffrischen können, aber er hatte es nie getan.Diesmal schüttelte er wieder den Kopf, bevor er mir antwortete.

„Ich bin Elidibus. Ich weiß, was zu tun ist und wie es zu tun ist ... Das reicht. Selbst wenn meine Erinnerungen zu mir zurückkehren würden, könnte ich sie auf dem Weg wieder verlieren. Zwinge mich nicht, dies immer wieder zu erleben ... Besonders, wenn diese Erinnerungen so wertvoll sind ...“

Wenn das sein Wunsch war, konnte ich nicht widersprechen, also zuckte ich nur mit den Schultern. Während Elidibus seinen Teleportzauber wirkte, sagte er noch:

„Ich werde in den Ursprung zurückkehren und mich um diesen Helden kümmern, der Lahabrea besiegt hat.“

„Verstanden. Wenn es sich wirklich um einen Helden handelt, sollte er nicht dein Feind sein.“

„Man kann nie wissen. Fahre mit deiner Angelegenheit fort. Auf dass diese schwierigen Zeiten bald vorbei sind.“

Bevor ich antworten konnte, dass ich lieber noch ein bisschen schlafen würde, löste Elidibus seinen Zauber aus und seine Gestalt verdunstete in der Dunkelheit. Zu dieser Zeit war ich weit davon entfernt zu ahnen, dass wir gerade unsere letzte Begegnung erlebt hatten.

Und nun?

Nun sind alle meine Zauber zerstört. Ich bin auf meine bloße Existenz reduziert.

Und wenn auch diese verschwunden ist, werde ich nichts als Staub sein, der vom Wind weggeblasen wird. Von mir wird es keinen Atem mehr geben, nichts.

Der Kampf war hart, seine Folgen dramatisch. Es könnte nicht anders sein. Immerhin war der Einsatz, dieser Wunsch, den ich mir erfüllen wollte, alles, was ich hatte.

Heute wie gestern ruft die Unterwelt den Äther zu sich. Ein Spektakel, dessen ich nie müde werde. Ich denke an die lange Vergangenheit, die mir vorausging, an die Zukunft, die mich überleben wird und von der ich nur einen flüchtigen Blick erhaschte.

Der letzte Akt dieses Stückes wird ohne mich gespielt. Doch haben noch nicht alle Schauspieler die Bühne verlassen. Einige stehen immer noch da, in unerwarteten Formen.

Der Vorhang fällt – aber erst, wenn das letzte Wort gesprochen ist, das letzte Drama sich entfaltet hat.

Ich schnippe noch einmal mit den Fingern, auch ohne mein fleischliches Kleid. Damit das Publikum sich noch nicht erhebt und auch den Epilog mit offenen Augen verfolgt.

„Emet-Selch!“

Gerade als ich die Hallen des Kapitols verlassen wollte, rief mir eine vertraute Stimme hinterher. Ich unterbrach meinen Schritt und drehte mich um. Wie ich mir schon dachte, kam ein junger Mann mit einem – vergleichsweise – kleinen Körper und schnellem Schritt auf mich zu. Er trug ein weißes Gewand und sein Gesicht war mit einer roten Maske bedeckt, was seine Mitgliedschaft im Rat der Vierzehn bezeugte. Es konnte sich nur um Bruder Elidibus handeln. Er sah meinen verwunderten Blick, holte tief Luft und fragte mich feierlich:

„Weißt du etwas über den nächsten Punkt auf der Tagesordnung? Diese Vulkangeschichte.“

„Ja. Es geht um einen großen Ausbruch, der bevorsteht ... Soweit ich mich erinnere, ist es aber keine allzu ernste Angelegenheit.“

Dem Rat war berichtet worden, dass der feueraspektierte Äther einer bestimmten Vulkaninsel höchst instabil war, ein Zeichen für einen bevorstehenden Ausbruch. Und ja, da war ein Dorf, umgeben von weiten Feldern. Wenn sich die Vorhersage als richtig herausstellte, würde alles unter einer gewaltigen Wolke aus Asche und Rauch versinken.

Trotzdem gab es nichts, worüber man Aufhebens machen sollte. Wie immer würden sich die Sterblichen den Naturgesetzen fügen und in einer primitiven Erklärung Zuflucht suchen. Darüber hinaus war es doch niemandem verwehrt, die Insel aus eigener Kraft zu verlassen. Im Rat würden wir aus Prinzip über die Nützlichkeit einer Intervention diskutieren, um dann zu der gleichen Schlussfolgerung zu gelangen.

Dass Elidibus sich nun aber eigens die Mühe machte, mich persönlich zu besuchen, nur um über diese Angelegenheit zu sprechen ... Mir schwante eine lästige Zeitverschwendung.

„Azem ist zum Vulkan gegangen. Sie will den Vulkanausbruch verhindern.“

Ich runzelte die Stirn. Was hat das schon wieder mit mir zu tun? Nachdem ich meinen Ärger unterdrückt hatte, entschied ich mich für eine herzlichere Antwort: „Ach ja? Und wie will Azem das bitte schön anstellen?“ Elidibus aber fuhr mit einer anderen Frage fort und machte dabei seine charakteristische gewissenhafte Miene.

„Sagt dir Ifritah, der Geist der Flammen, etwas?“

„Natürlich. Er ist eine von Lahabreas besten Kreationen.“

Bei diesen Worten lächelte Elidibus, als hätten seine Mundwinkel für einen Augenblick die Ernsthaftigkeit vergessen. „Ja, richtig, es ist ein Meisterwerk!“, platzte er mit uneingeschränkter Begeisterung heraus. Ich konnte spüren, wie sehr er Lahabrea bewunderte – wie sehr er uns alle bewunderte.

Normalerweise hätte ich seine Reaktion amüsant gefunden, wenn auch etwas peinlich. Aber in diesem Fall versuchte ich hauptsächlich zu verstehen, was er damit beabsichtigte, weshalb meine Stirn wieder Falten schlug.

Ifritah, Geist der Flammen. Eine schaurige Entität, die aus konzentriertem Feueräther geschaffen wurde. Ich hatte eine klare Vorstellung davon, wie Azem den Ausbruch verhindern wollte: Da der Vulkan zu viel Äther in sich barg, musste Azem seine gesamte sprudelnde Energie in diese monströse Form bringen und sie dann an einem sicheren Ort zerstreuen – indem sie die Kreatur zerstörte.

Sie konnte diesen Plan jedoch nur mit Zustimmung einer ganz bestimmten Person ausführen: dem Verwalter des Konzepts von Ifritah, seinem Erfinder in gewisser Weise. Und wenn es nicht Lahabrea selbst war, dann konnte es sich nur um einen handeln: den Direktor des Büros des Architekten, der für alle Ideen verantwortlich war und der zufällig ein alter Freund von mir war. Seine Zustimmung war erforderlich, um Zugang zu den besten Ideen zu erhalten.

Ich stellte mir vor, wie er Azem mit seinem warmen, aber geheimnisvollen Lächeln eine sichere Reise wünschte. Ich genoss es innerlich so sehr, dass meine Maske auf meinem Gesicht erschien, ohne dass ich es überhaupt bemerkte.Als Elidibus dies sah, verstand er, dass er sich nicht weiter erklären musste.

„Ich mache mir keine allzu großen Sorgen, aber wenn irgendetwas passiert, wird die Schuld wieder Azem zugeschoben werden. Geh mit ihr, es ist besser.“

„Gut, ich glaube, ich habe verstanden ... Aber ist es nicht ein wenig ungewöhnlich, dass Elidibus, der Fürsprecher, sich auf diese Weise einmischt?“

„Ich ergreife für niemanden Partei. In dieser Vulkangeschichte ist noch nichts entschieden. Ich habe die Meinung aller zu respektieren – auch die von Azem.“

Die Gelassenheit in seiner Antwort nahm mir jeden Impuls, ihm zu widersprechen oder ihm zuzustimmen. Ich zuckte nur mit den Schultern und dachte, dass Azem ein gewaltiges Glück hatte, ungefähr zur gleichen Zeit wie ein solch versöhnlicher Vermittler zu leben.

„Übrigens, hat sie dir erzählt, warum sie so sehr daran interessiert ist, diesen Ausbruch zu verhindern?“, fragte ich Elidibus, bevor er ging.

„Nicht wirklich ...“, antwortete er nachdenklich. Seine Rolle als Fürsprecher zwang ihn, genau zu sein, und er versuchte zweifellos, sich ausführlich an sein letztes Gespräch mit Azem zu erinnern. Er hob bald den Kopf, als wäre er von einem Blitz der Klarheit getroffen worden, und enthüllte es mir auf die ernsteste Weise, als ob wir ein eifersüchtig gehütetes Geheimnis teilten.

„Sie sagte einmal, dass die auf der Insel angebaute Traube von unvergleichbarer Süße sei. Ja, in ihren Augen ist es zweifellos die Mühe wert, dieses kostbare Gut zu bewahren, auch wenn es bedeutet, gegen die natürliche Ordnung der Dinge zu verstoßen!“

„Äh, ja. Wenn du es sagst.“

Um die Offenheit meines lieben Freundes nicht zu beleidigen, achtete ich darauf, mir nichts anmerken zu lassen, schwor jedoch, dass die Liebhaberin der Traube und ihr Komplize eines Tages eine gehörige Predigt erhalten sollten. Elidibus schloss, indem er verständnisvoll sagte: „Immerhin bringt Azem uns etwas frischen Wind“, und ging weiter.

So war er, der Fürsprecher: Ein junger Mann, der sich ganz seiner Arbeit widmete, sowie seinen dreizehn Kollegen, die er respektierte und schätzte. Er war der kleine Schützling der Gruppe, den jeder mochte. So sehr, dass selbst der pragmatischste von uns seinen Herzensschmerz kaum zu unterdrücken vermochte, als wir erkannten, dass Elidibus von allen am besten geeignet war, als Kern für Zodiarks Beschwörung zu dienen.

Deswegen traf uns der Schock über das unerwartete Widertreffen mit ihm auch so vehement.

Dank Zodiark, dem ernannten Willen des Sterns, war das Leben gerade der Apokalypse entkommen. Über die heikle Frage der Zukunft gingen die Meinungen allerdings weit auseinander. Die Mehrheit wollte unserem Retter das neu entstehende Leben darbieten, um im Gegenzug diejenigen unserer Brüder zurückzubekommen, die ihm geopfert worden waren. Die anderen bestanden darauf, dass der Planet und seine Zukunft allein dem neu sprießenden Leben gehöre.

Und gerade als wir uns diesem schrecklichen Dilemma gegenübersahen, fiel etwas von Zodiark ab. Eine unbestimmte Masse, die sich wand und zappelte ... bis sie vor unseren verblüfften Augen allmählich eine uns ähnliche Gestalt annahm. Als diese Mauser endlich beendet war, zeigte dieses seltsame Wesen etwas, das – äußerst vage – wie ein Lächeln aussah.

„Mach dir keine Sorgen. Der Rat wird die richtige Entscheidung treffen. Und die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Ich, Elidibus, werde dabei helfen.“


Dann vergingen die Jahre, mehr als ich zählen konnte.

Nachdem meine Mission als Solus, Kaiser von Garlemald, abgeschlossen war, kehrte ich in die Dämmerung des Raumes zurück, der die Welten trennt, zu meinem Versteck, wo mich meine erste lange Pause seit Ewigkeiten erwartete.

Nachdem ich darauf geachtet hatte, meine fleischliche Hülle in der primitiven Welt zu belassen, war ich ein formloses Wesen, vergleichbar mit einem wandernden Geist. Also beschloss ich, zu meiner einstigen Gestalt zurückzukehren, als ich noch ich selbst war. Ich dachte, dass ein langer Schlaf die zweite Haut, die ich so lange über meinen alten Gesichtszügen getragen hatte, ein für alle Mal abfallen lassen würde.

Vielleicht war es ein Instinkt der Selbsterhaltung, wenn überhaupt noch etwas zu behalten war ... Tatsächlich hatte ich mehr als einmal über den einfachen Ausweg nachgedacht, nämlich alles von mir zu werfen. Dann dachte ich über den Zustand nach, in dem sich die beiden anderen ursprünglichen Ascians befanden – gerade genug, um mich davon zu überzeugen, dass meine Bindung an mein materielles Mark doch nicht nur sentimentaler Natur war.

„Emet-Selch!“

Eine Stimme weckte mich aus dem Schlaf. Ich ignorierte sie und wünschte mir, man würde einen müden alten Mann in Ruhe lassen. Bei allem Respekt näherte sich der Eindringling weiter und wiederholte seinen Gruß. Obwohl seine Stimme mit der identisch war, die mich vor so langer Zeit am Eingang zum Kapitol gerufen hatte, dachte ich, ich hätte jemand anderen gehört. Vielleicht, weil sich sein Ton, seine Einstellung und alles an ihm in der Zwischenzeit radikal verändert hatten. Oder vielleicht eher, weil er sich buchstäblich verwandelt hatte.

Wie auch immer, Elidibus stand jetzt neben mir. Sehr langsam kündigte er mir an:

„Lahabrea ist nicht mehr.“

Mit einem Ruck stand ich vor meinem Gesprächspartner, der seinerseits vollkommen regungslos dastand. Es folgte eine lange Stille, die Bände über das Gewicht der Worte sprach, die er verwendet hatte: „Lahabrea ist nicht mehr.“

Wenn er von seinem Tod gesprochen hätte, wäre die Wirkung viel geringer gewesen. Immerhin ist der Tod für unsere Art niemals endgültig. Aber dieser Ausdruck klang unwiderruflich.

„Wir wussten, dass es früher oder später passieren würde.“

Während Elidibus' Worte in meinen Ohren hallten, schloss ich meine Augen und seufzte tief.

Nun, er hatte recht. Lahabrea war lange Zeit der unruhigste, wenn nicht der rücksichtsloseste von uns dreien gewesen. Er würde vor nichts Halt machen, um sein Ziel zu erreichen: Reisen zwischen Welten, Transformationen aller Art ... Ein kopfloser Ansturm, der ihn langsam aber sicher zu seiner Zerstörung führte. In letzter Zeit hatte er daran gearbeitet, eine Nova auszulösen, obwohl die letzte gerade erst stattgefunden hatte ... unter seiner Führung.

Sein Temperament erinnerte mich an das Bild eines lodernden Infernos, das zweifellos von all diesen erhabenen Wesenheiten des Feuers inspiriert war, die er geboren hatte, sei es der unsterbliche Phönix oder der flammende Ifritah. Im Zenit seiner Karriere lebte seine eigene Flamme, sie war wunderschön – und wie jede Flamme war sie dazu verdammt, zu erlöschen, nachdem sie sich selbst verzehrt hatte.

Ich hob langsam meine Augenlider und beobachtete Elidibus aufmerksam. Sein Gesicht war unter seiner Maske verborgen, bis auf seinen Mund, den er fest geschlossen hielt und der keine Emotionen zeigte. Seine einst offensichtliche Hingabe an seinen Bruder war jetzt nicht mehr zu erkennen, und ich fragte mich, ob es sie noch gab.

„Emet-Selch?“

„Entschuldige. Es ist nur, dass du mich ein wenig an die von Lahabrea geschaffenen Kreaturen erinnerst ...“

„Geschaffene Kreaturen ...“

Elidibus murmelte etwas, und ich spürte deutlich die Farbe der Verwirrung in seiner Aura. Er konnte sich nicht erinnern, wusste aber, dass es etwas gab, das er verloren hatte. Ich sah, wie er seine Fäuste ballte.

Seit der Fürsprecher wieder vor dem Rat der Vierzehn aufgetaucht war – weniger Lebewesen als Personifikation eines mächtigen Verlangens – , hatten sich die Zeiten geändert, und er auch. Mit jedem Jahr hatte er etwas von dem verloren, was ihn einst definierte.

„Elidibus. Bist du sicher, dass du nicht in deinen Kristall blicken willst?“

Damals, als Lahabrea und er noch frei von jeglichen Entfremdungen waren, wurden die Erinnerungen, die wir im Rat aneinander hatten, in Kristallen gespeichert, die unter anderem für die Ausbildung späterer Generationen nützlich waren. Elidibus hätte mithilfe seines Kristalls jederzeit sein Gedächtnis auffrischen können, aber er hatte es nie getan.Diesmal schüttelte er wieder den Kopf, bevor er mir antwortete.

„Ich bin Elidibus. Ich weiß, was zu tun ist und wie es zu tun ist ... Das reicht. Selbst wenn meine Erinnerungen zu mir zurückkehren würden, könnte ich sie auf dem Weg wieder verlieren. Zwinge mich nicht, dies immer wieder zu erleben ... Besonders, wenn diese Erinnerungen so wertvoll sind ...“

Wenn das sein Wunsch war, konnte ich nicht widersprechen, also zuckte ich nur mit den Schultern. Während Elidibus seinen Teleportzauber wirkte, sagte er noch:

„Ich werde in den Ursprung zurückkehren und mich um diese Heldin kümmern, die Lahabrea besiegt hat.“

„Verstanden. Wenn es sich wirklich um eine Heldin handelt, sollte sie nicht dein Feind sein.“

„Man kann nie wissen. Fahre mit deiner Angelegenheit fort. Auf dass diese schwierigen Zeiten bald vorbei sind.“

Bevor ich antworten konnte, dass ich lieber noch ein bisschen schlafen würde, löste Elidibus seinen Zauber aus und seine Gestalt verdunstete in der Dunkelheit. Zu dieser Zeit war ich weit davon entfernt zu ahnen, dass wir gerade unsere letzte Begegnung erlebt hatten.

Und nun?

Nun sind alle meine Zauber zerstört. Ich bin auf meine bloße Existenz reduziert.

Und wenn auch diese verschwunden ist, werde ich nichts als Staub sein, der vom Wind weggeblasen wird. Von mir wird es keinen Atem mehr geben, nichts.

Der Kampf war hart, seine Folgen dramatisch. Es könnte nicht anders sein. Immerhin war der Einsatz, dieser Wunsch, den ich mir erfüllen wollte, alles, was ich hatte.

Heute wie gestern ruft die Unterwelt den Äther zu sich. Ein Spektakel, dessen ich nie müde werde. Ich denke an die lange Vergangenheit, die mir vorausging, an die Zukunft, die mich überleben wird und von der ich nur einen flüchtigen Blick erhaschte.

Der letzte Akt dieses Stückes wird ohne mich gespielt. Doch haben noch nicht alle Schauspieler die Bühne verlassen. Einige stehen immer noch da, in unerwarteten Formen.

Der Vorhang fällt – aber erst, wenn das letzte Wort gesprochen ist, das letzte Drama sich entfaltet hat.

Ich schnippe noch einmal mit den Fingern, auch ohne mein fleischliches Kleid. Damit das Publikum sich noch nicht erhebt und auch den Epilog mit offenen Augen verfolgt.