Der Lodestone

Annalen des Befreiungskampfes

Die Ruhe nach dem Sturm

Als Krieger des LichtsAls Krieger des LichtsAls Krieger des LichtsAls Kriegerin des LichtsAls Kriegerin des LichtsAls Kriegerin des Lichts

Einige Zeit nach dem epischen Kampf in Theoderics Lustgarten hoch über den Dächern von Ala Mhigo ...

An einer steilen Felsenklippe in der Küstenstadt Limsa Lominsa befand sich eine kleine, gemütliche Konditorei mit einem wundervollen Ausblick auf die schier endlose Weite der Rhotano-See. Davor, auf einer hölzernen Terrasse, standen kleine Tische und Stühle - schlicht, doch umso behaglicher. Die Konditorei war natürlich nicht so berühmt wie das Restaurant Bismarck, doch gerade deshalb perfekt geeignet, um dort ungestört einen ruhigen Nachmittag zu verbringen.

Auf den ersten Blick wäre an diesem unscheinbaren Ort niemandem eine kleine Siegesfeier berühmter Freiheitskämpfer aufgefallen ...

Y'shtola setzte ihre Teetasse ab und lächelte. Der Tisch vor ihr war reich gedeckt mit Köstlichkeiten der Konditorei: verschiedenes Gebäck und vor allem die beliebten Obsttörtchen, dick belegt mit Beeren und Marmelade. Y'shtola gegenüber saß Alisaie, die sich gerade genüsslich den nächsten Keks in den Mund steckte und Y’shtola fragend ansah. Es war ihre Idee gewesen, nach ihrem letzten großen Abenteuer gemeinsam hierherzukommen, und der Gedanke daran hatte ihnen Hoffnung gemacht. Doch noch waren nicht alle geladenen Gäste gekommen.

„Ich bin spät dran. Tut mir leid!“

„Lyse! Das macht doch nichts. Wir sind froh, dass du den weiten Weg auf dich genommen hast, und wie du siehst, haben wir uns auch nicht zurückgehalten.“

Lyse trat heran, gekleidet in ihr neues Reisegewand von Tataru.
Nach dem Sieg über die Garlear war sie in Gyr Abania zurückgeblieben, um bei der Neuordnung ihrer Heimat zu helfen. Seither hatten sie sich nicht mehr gesehen. Lyse setzte sich an den Tisch und gab bei der Bedienung eine Bestellung auf, ehe sie sich ihren alten Freundinnen zuwandte.

„Hm? Kommt sonst niemand mehr?“, fragte Lyse ein wenig besorgt.

„Ich habe Krile eingeladen, aber sie ist mit einer Untersuchung beschäftigt, die keinen Aufschub duldete. Wir sollen ihr ein paar Obsttörtchen mitbringen. Tja, und unser guter Freund, der Krieger des Lichts ...“, erwiderte Y’shtola.

Der Krieger des Lichts, der dem Treffen zugestimmt hatte, war nirgends zu sehen.

Alisaie verschlang den nächsten Keks und ergänzte:

„Er erlebt bestimmt gerade ein Abenteuer, aber keine Sorge, er weiß Bescheid. Sicherlich kommt er gleich.“

Lyse seufzte erleichtert.

„Er hat eben viel zu tun.“

„Aber wirklich ... Kaum ist er mit seinen Freunden zu gefährlichen Abenteuern aufgebrochen, da besucht er schon wieder die Kleinen in Frohehalde oder liefert hier und da wertvolle Gegenstände ab. Den friedlichen Vertretern der Wilden Stämme greift er auch immer wieder unter die Arme und Allagische Steine beschafft er in rauen Mengen. Ich weiß gar nicht, wie er das alles schafft!“

Alisaie redete immer schneller und lauter, woraufhin sich Lyse und Y’shtola vielsagende Blicke zuwarfen. Als Alisaie das bemerkte, guckte sie empört, doch ihre beiden Zuhörer zuckten bloß mit den Schultern.

„Du bist doch nicht etwa neidisch auf ihn?“

„Neidisch? Ich? Das habe ich nicht nötig. Der Krieger des Lichts kocht auch bloß mit Wasser!“

„Schon klar, du könntest das auch alles mit Links erledigen“, stichelte Lyse.

„Lyse, fällst du mir auch in den Rücken? Reicht es nicht, dass mir Leute ständig nachsagen, ich würde Alphinaud nacheifern?“

Alisaie zerteilte ihr Obsttörtchen mit der Gabel und erzählte von ihren Erlebnissen in Yanxia.

Während ihre Gefährten in der Azim-Steppe nach Prinz Hien suchten, waren Alisaie und ihr Bruder im Unterschlupf des domanischen Widerstandes geblieben, um Vorbereitungen für die bevorstehenden Kämpfe zu treffen. Es mangelte an allem, doch der weitgereiste Alphinaud wusste für alle Probleme eine Lösung. Alisaie fragte ihn, wie es dazu kam, dass er so gut vorbereitet war.

„Was glaubt ihr, hat er geantwortet?“

„Er sagte: ‚Es ist meine Angewohnheit, gut vorbereitet zu sein. Und außerdem hat mir ein guter Freund viel über solch schwierige Situationen beigebracht. Wenn wir uns wiedersehen, will ich ihm erzählen, dass ich in der Zwischenzeit nicht untätig war.‘“

„Ich habe natürlich nachgebohrt, leider ohne Erfolg: ‚Ein guter Freund? Kenne ich ihn? Ist er dir ähnlich? Kann es noch jemanden auf dieser Welt geben, der so neunmalklug ist wie du?‘ Aber Alph wollte mir nicht verraten, wer dieser mysteriöse Freund ist. Er meinte nur, er wäre wie ein großer Bruder zu ihm gewesen.“

Alisaie stach mit der Gabel genüsslich in ihr Obsttörtchen.
Lyse hörte ganz gespannt zu. Y’shtola jedoch, die ahnte, wer Alphinauds Freund war, und wusste, dass sie ihn so schnell nicht wiedersehen würden, rang sich ein gequältes Lächeln ab.

Die Bedienung brachte die kalte Limonade, die Lyse bestellt hatte, zubereitet aus seltenen Honigzitronen. Selbst ohne die Zugabe von Honig oder Zucker schmeckte diese Limonade erfrischend sauer und gleichzeitig herrlich süß. Lyse nahm einen großen Schluck und strahlte erfreut. In Sharlayan, der Stadt des Wissens, in der die drei Exegeten ihre Jugend verbracht hatten, wurden Speisen und Getränke aus allen Ländern und Epochen gesammelt, doch vor Ort schmeckten sie immer viel besser. Limsa Lominsa galt zurecht als Stadt der Gourmets. Alles hier belebte den Körper und erfreute den Geist. Y’shtola dachte mit Genuss an das überwältigende Geschmackserlebnis, das ihr ihre erste Mahlzeit in der Stadt geboten hatte.

„Lyse, wie läuft es bei dir? Du hast sicher viel um die Ohren. Fiel es dir schwer, dich von deinen Pflichten in Ala Mhigo loszueisen?“, fragte Y’shtola.

Lyse schloss kurz die Augen und stellte ihr Glas ab.

„Ja, die Probleme nehmen kein Ende. Und ich kann sie nicht mehr so einfach mit ein paar Faustschlägen klären wie früher. Man erwartet diplomatisches Geschick von mir - nicht gerade meine Stärke.“

Lyse tippte gedankenverloren mit ihrem Zeigefinger an das kühle Glas. Ein Wassertropfen rann an der Seite herunter, während sie weiterredete.

„Ich wünschte, ich könnte mich mit meiner Schwester beraten, oder mit unserem Vater. Wie hätten sie die Dinge geregelt? Ich hab das Gefühl, das schwarze Schaf der Familie zu sein, aber meine Freunde haben an mich geglaubt und mir geholfen. Aufgeben kommt nicht in Frage, also mache ich einfach weiter.“

Bei diesen Worten blickte Lyse entschlossen, ja, beinahe schien es so, als nähme sie die Gesichtszüge ihrer großen Schwester an.

Alisaie seufzte und legte wortlos noch ein Obsttörtchen auf Lyses Teller. „He, nicht so viel!“, protestierte die frischgebackene Anführerin, doch Y’shtola sagte mit sanfter Stimme:

„Hau kräftig rein, Lyse, du kannst es gebrauchen. Vor dir liegen große Aufgaben, und ich weiß doch, wie hungrig du wirst, wenn du hart zupackst, oder ernst sein musst, oder nachdenkst.“

„Na ja, komm schon ... So schlimm bin ich nun auch wieder nicht.“

Lyse ließ die Schultern hängen, während Y’shtola noch ein paar Kekse auf ihren Teller schaufelte.

„Bevor dir die Dinge über den Kopf wachsen, solltest du dir Hilfe holen. Die Erinnerungen an deine Familie sind nicht das Einzige, das dir Kraft geben kann.“

Lyse blickte auf, sah ihre Freundinnen an ... und nickte lächelnd.


„Ja, ich habe schon einen tollen Helfer gefunden. Ein junger Mann in meinem Alter, der in der Befreiungsarmee gekämpft hat. Er kennt sich wahnsinnig gut mit Politik und Geschichte aus, und bringt mir viel bei. Ihm habe ich auch zu verdanken, dass ich heute hierher kommen konnte. Ohne ihn hätte ich noch ewig in der Bibliothek nach Schriften über eine eine alte Mine gesucht.“

Lyse leerte tapfer ihren prall gefüllten Teller und erzählte dabei die Neuigkeiten aus Ala Mhigo.

„Er ist wirklich ein netter Kerl ... aber manchmal benimmt er sich ein bisschen merkwürdig. Er guckt mir nie ins Gesicht und manchmal druckst er so komisch rum.“

„Vielleicht hat er Angst vor dir. Immerhin hast du den Ruf, eine gefährliche Kämpferin zu sein“, sagte Alisaie unverblümt.

Y’shtola hatte einen ganz anderen Eindruck gewonnen.

„Könnte es nicht viel eher sein, dass der junge Mann deinen Blicken ausweicht, weil er dich mag?“

Lyse erstarrte kurz. Ihr Gesicht lief knallrot an. Nach einer merkwürdig langen Pause winkte sie vehement ab.

„Nein, nein ... das glaube ich nicht!“

„Ach, komm schon! Oder hast du dein Auge auf einen anderen Mann geworfen? Ist der Herrscher von Doma nicht auch in deinem Alter?“

„Hien?! I-Ich habe großen Respekt vor ihm! Aber es ist nicht so, dass ich ihn besonders mag, also, ich meine, bestimmt nicht mehr als andere.“

Lyses Blick schweifte verträumt in die Ferne ... Mehr wollte sie nicht dazu sagen, und Y'shtola und Alisaie bedrängten sie nicht weiter.

Lyse trank ihre Limonade aus und wandte sich nun an Y'shtola, die sie aufmerksam musterte.

„Shtola, wie sieht es denn bei dir aus? Mit Thancred und den anderen Exegeten hast du viel erlebt ... aber gibt es noch jemand anderen in deinem Leben?“

„Thancred ist wirklich ein guter Freund ... aber mehr auch nicht. Und sonst ... nun ja ...“

Still erinnerte sich Y’shtola an ein Gespräch mit ihrer Schwester Y'mhitra.

Das Gespräch hatten sie im Sonnenstein geführt, nachdem Y‘shtola in Rhalgrs Wacht von Zenos verwundet worden war. Sobald sie nicht mehr in Lebensgefahr schwebte, wollte Y'mhitra wissen, was vorgefallen war.

Sie war erleichtert, dass ihre große Schwester überlebt hatte, doch sie war auch wütend über die Leichtsinnigkeit, welche sie nicht nur im Kampf gegen Zenos, sondern auch mit dem Wirken des antiken Teleportzaubers an den Tag gelegt hatte ... Sie bat Y’shtola inständig, in Zukunft vorsichtiger zu sein.

Y'mhitra kannte ihre Schwester nur zu gut und hatte großen Respekt vor ihr, doch an diesem Tag ließ sie nicht locker, bis Y’shtola genervt nachgab: „Schon gut, ich werde vorsichtig sein, aber bitte lass mich jetzt endlich schlafen.“ Y'mhitra glaubte ihr nicht und sagte etwas, an das sich Y’shtola noch gut erinnerte.

„Schwester, wird es nicht Zeit, dir einen Partner zu suchen? Ich weiß, du bist stark, aber mit jemandem an deiner Seite wäre dein Leben bestimmt leichter und angenehmer.“

Y’shtola nippte elegant an ihrem Tee, um sich nichts anmerken zu lassen. Ihre beiden Freundinnen, die auf eine Antwort warteten, speiste sie mit folgenden Worten ab:

„Ich glaube ... das behalte ich lieber für mich.“

Lyse und Alisaie beugten sich zueinander und flüsterten aufgeregt: „Jetzt macht sie es aber spannend. Wenn sie nicht darüber reden möchte, kriegen wir es bestimmt nicht aus ihr heraus.“

Y’shtola ignorierte die beiden geflissentlich und griff nach der Teekanne. Da vernahm sie Schritte auf sie zukommen und blickte auf.

„Oh, besser spät als nie.“

Lyse und Alisaie verstummten und drehten ihre Köpfe. Da stand ... ihr guter Freund, der Krieger des Lichts.

„Ah, sehr schön. Was möchtest du bestellen? Die Obsttörtchen kann ich sehr empfehlen.“

Die gesellige Runde war noch lange nicht zu Ende ...

Einige Zeit nach dem epischen Kampf in Theoderics Lustgarten hoch über den Dächern von Ala Mhigo ...

An einer steilen Felsenklippe in der Küstenstadt Limsa Lominsa befand sich eine kleine, gemütliche Konditorei mit einem wundervollen Ausblick auf die schier endlose Weite der Rhotano-See. Davor, auf einer hölzernen Terrasse, standen kleine Tische und Stühle - schlicht, doch umso behaglicher. Die Konditorei war natürlich nicht so berühmt wie das Restaurant Bismarck, doch gerade deshalb perfekt geeignet, um dort ungestört einen ruhigen Nachmittag zu verbringen.

Auf den ersten Blick wäre an diesem unscheinbaren Ort niemandem eine kleine Siegesfeier berühmter Freiheitskämpfer aufgefallen ...

Y'shtola setzte ihre Teetasse ab und lächelte. Der Tisch vor ihr war reich gedeckt mit Köstlichkeiten der Konditorei: verschiedenes Gebäck und vor allem die beliebten Obsttörtchen, dick belegt mit Beeren und Marmelade. Y'shtola gegenüber saß Alisaie, die sich gerade genüsslich den nächsten Keks in den Mund steckte und Y’shtola fragend ansah. Es war ihre Idee gewesen, nach ihrem letzten großen Abenteuer gemeinsam hierherzukommen, und der Gedanke daran hatte ihnen Hoffnung gemacht. Doch noch waren nicht alle geladenen Gäste gekommen.

„Ich bin spät dran. Tut mir leid!“

„Lyse! Das macht doch nichts. Wir sind froh, dass du den weiten Weg auf dich genommen hast, und wie du siehst, haben wir uns auch nicht zurückgehalten.“

Lyse trat heran, gekleidet in ihr neues Reisegewand von Tataru.

Nach dem Sieg über die Garlear war sie in Gyr Abania zurückgeblieben, um bei der Neuordnung ihrer Heimat zu helfen. Seither hatten sie sich nicht mehr gesehen. Lyse setzte sich an den Tisch und gab bei der Bedienung eine Bestellung auf, ehe sie sich ihren alten Freundinnen zuwandte.

„Hm? Kommt sonst niemand mehr?“, fragte Lyse ein wenig besorgt.

„Ich habe Krile eingeladen, aber sie ist mit einer Untersuchung beschäftigt, die keinen Aufschub duldete. Wir sollen ihr ein paar Obsttörtchen mitbringen. Tja, und unsere gute Freundin, die Kriegerin des Lichts ...“, erwiderte Y’shtola.

Die Kriegerin des Lichts, die dem Treffen zugestimmt hatte, war nirgends zu sehen.

Alisaie verschlang den nächsten Keks und ergänzte:

„Sie erlebt bestimmt gerade ein Abenteuer, aber keine Sorge, sie weiß Bescheid. Sicherlich kommt sie gleich.“

Lyse seufzte erleichtert.

„Sie hat eben viel zu tun.“

„Aber wirklich ... Kaum ist sie mit ihren Freunden zu gefährlichen Abenteuern aufgebrochen, da besucht sie schon wieder die Kleinen in Frohehalde oder liefert hier und da wertvolle Gegenstände ab. Den friedlichen Vertretern der Wilden Stämme greift sie auch immer wieder unter die Arme und Allagische Steine beschafft sie in rauen Mengen. Ich weiß gar nicht, wie sie das alles schafft!“

Alisaie redete immer schneller und lauter, woraufhin sich Lyse und Y’shtola vielsagende Blicke zuwarfen. Als Alisaie das bemerkte, guckte sie empört, doch ihre beiden Zuhörer zuckten bloß mit den Schultern.

„Du bist doch nicht etwa neidisch auf sie?“

„Neidisch? Ich? Das habe ich nicht nötig. Die Kriegerin des Lichts kocht auch bloß mit Wasser!“

„Schon klar, du könntest das auch alles mit Links erledigen“, stichelte Lyse.

„Lyse, fällst du mir auch in den Rücken? Reicht es nicht, dass mir Leute ständig nachsagen, ich würde Alphinaud nacheifern?“

Alisaie zerteilte ihr Obsttörtchen mit der Gabel und erzählte von ihren Erlebnissen in Yanxia.

Während ihre Gefährten in der Azim-Steppe nach Prinz Hien suchten, waren Alisaie und ihr Bruder im Unterschlupf des domanischen Widerstandes geblieben, um Vorbereitungen für die bevorstehenden Kämpfe zu treffen. Es mangelte an allem, doch der weitgereiste Alphinaud wusste für alle Probleme eine Lösung. Alisaie fragte ihn, wie es dazu kam, dass er so gut vorbereitet war.

„Was glaubt ihr, hat er geantwortet?“

„Er sagte: ‚Es ist meine Angewohnheit, gut vorbereitet zu sein. Und außerdem hat mir ein guter Freund viel über solch schwierige Situationen beigebracht. Wenn wir uns wiedersehen, will ich ihm erzählen, dass ich in der Zwischenzeit nicht untätig war.‘“

„Ich habe natürlich nachgebohrt, leider ohne Erfolg: ‚Ein guter Freund? Kenne ich ihn? Ist er dir ähnlich? Kann es noch jemanden auf dieser Welt geben, der so neunmalklug ist wie du?‘ Aber Alph wollte mir nicht verraten, wer dieser mysteriöse Freund ist. Er meinte nur, er wäre wie ein großer Bruder zu ihm gewesen.“

Alisaie stach mit der Gabel genüsslich in ihr Obsttörtchen.

Lyse hörte ganz gespannt zu. Y’shtola jedoch, die ahnte, wer Alphinauds Freund war, und wusste, dass sie ihn so schnell nicht wiedersehen würden, rang sich ein gequältes Lächeln ab.

Die Bedienung brachte die kalte Limonade, die Lyse bestellt hatte, zubereitet aus seltenen Honigzitronen. Selbst ohne die Zugabe von Honig oder Zucker schmeckte diese Limonade erfrischend sauer und gleichzeitig herrlich süß. Lyse nahm einen großen Schluck und strahlte erfreut. In Sharlayan, der Stadt des Wissens, in der die drei Exegeten ihre Jugend verbracht hatten, wurden Speisen und Getränke aus allen Ländern und Epochen gesammelt, doch vor Ort schmeckten sie immer viel besser. Limsa Lominsa galt zurecht als Stadt der Gourmets. Alles hier belebte den Körper und erfreute den Geist. Y’shtola dachte mit Genuss an das überwältigende Geschmackserlebnis, das ihr ihre erste Mahlzeit in der Stadt geboten hatte.

„Lyse, wie läuft es bei dir? Du hast sicher viel um die Ohren. Fiel es dir schwer, dich von deinen Pflichten in Ala Mhigo loszueisen?“, fragte Y’shtola.

Lyse schloss kurz die Augen und stellte ihr Glas ab.

„Ja, die Probleme nehmen kein Ende. Und ich kann sie nicht mehr so einfach mit ein paar Faustschlägen klären wie früher. Man erwartet diplomatisches Geschick von mir - nicht gerade meine Stärke.“

Lyse tippte gedankenverloren mit ihrem Zeigefinger an das kühle Glas. Ein Wassertropfen rann an der Seite herunter, während sie weiterredete.

„Ich wünschte, ich könnte mich mit meiner Schwester beraten, oder mit unserem Vater. Wie hätten sie die Dinge geregelt? Ich hab das Gefühl, das schwarze Schaf der Familie zu sein, aber meine Freunde haben an mich geglaubt und mir geholfen. Aufgeben kommt nicht in Frage, also mache ich einfach weiter.“

Bei diesen Worten blickte Lyse entschlossen, ja, beinahe schien es so, als nähme sie die Gesichtszüge ihrer großen Schwester an.

Alisaie seufzte und legte wortlos noch ein Obsttörtchen auf Lyses Teller. „He, nicht so viel!“, protestierte die frischgebackene Anführerin, doch Y’shtola sagte mit sanfter Stimme:

„Hau kräftig rein, Lyse, du kannst es gebrauchen. Vor dir liegen große Aufgaben, und ich weiß doch, wie hungrig du wirst, wenn du hart zupackst, oder ernst sein musst, oder nachdenkst.“

„Na ja, komm schon ... So schlimm bin ich nun auch wieder nicht.“

Lyse ließ die Schultern hängen, während Y’shtola noch ein paar Kekse auf ihren Teller schaufelte.

„Bevor dir die Dinge über den Kopf wachsen, solltest du dir Hilfe holen. Die Erinnerungen an deine Familie sind nicht das Einzige, das dir Kraft geben kann.“

Lyse blickte auf, sah ihre Freundinnen an ... und nickte lächelnd.


„Ja, ich habe schon einen tollen Helfer gefunden. Ein junger Mann in meinem Alter, der in der Befreiungsarmee gekämpft hat. Er kennt sich wahnsinnig gut mit Politik und Geschichte aus, und bringt mir viel bei. Ihm habe ich auch zu verdanken, dass ich heute hierher kommen konnte. Ohne ihn hätte ich noch ewig in der Bibliothek nach Schriften über eine eine alte Mine gesucht.“

Lyse leerte tapfer ihren prall gefüllten Teller und erzählte dabei die Neuigkeiten aus Ala Mhigo.

„Er ist wirklich ein netter Kerl ... aber manchmal benimmt er sich ein bisschen merkwürdig. Er guckt mir nie ins Gesicht und manchmal druckst er so komisch rum.“

„Vielleicht hat er Angst vor dir. Immerhin hast du den Ruf, eine gefährliche Kämpferin zu sein“, sagte Alisaie unverblümt.

Y’shtola hatte einen ganz anderen Eindruck gewonnen.

„Könnte es nicht viel eher sein, dass der junge Mann deinen Blicken ausweicht, weil er dich mag?“

Lyse erstarrte kurz. Ihr Gesicht lief knallrot an. Nach einer merkwürdig langen Pause winkte sie vehement ab.v

„Nein, nein ... das glaube ich nicht!“

„Ach, komm schon! Oder hast du dein Auge auf einen anderen Mann geworfen? Ist der Herrscher von Doma nicht auch in deinem Alter?“

„Hien?! I-Ich habe großen Respekt vor ihm! Aber es ist nicht so, dass ich ihn besonders mag, also, ich meine, bestimmt nicht mehr als andere.“

Lyses Blick schweifte verträumt in die Ferne ... Mehr wollte sie nicht dazu sagen, und Y'shtola und Alisaie bedrängten sie nicht weiter.

Lyse trank ihre Limonade aus und wandte sich nun an Y'shtola, die sie aufmerksam musterte.

„Shtola, wie sieht es denn bei dir aus? Mit Thancred und den anderen Exegeten hast du viel erlebt ... aber gibt es noch jemand anderen in deinem Leben?“

„Thancred ist wirklich ein guter Freund ... aber mehr auch nicht. Und sonst ... nun ja ...“

Still erinnerte sich Y’shtola an ein Gespräch mit ihrer Schwester Y'mhitra.

Das Gespräch hatten sie im Sonnenstein geführt, nachdem Y‘shtola in Rhalgrs Wacht von Zenos verwundet worden war. Sobald sie nicht mehr in Lebensgefahr schwebte, wollte Y'mhitra wissen, was vorgefallen war.

Sie war erleichtert, dass ihre große Schwester überlebt hatte, doch sie war auch wütend über die Leichtsinnigkeit, welche sie nicht nur im Kampf gegen Zenos, sondern auch mit dem Wirken des antiken Teleportzaubers an den Tag gelegt hatte ... Sie bat Y’shtola inständig, in Zukunft vorsichtiger zu sein.

Y'mhitra kannte ihre Schwester nur zu gut und hatte großen Respekt vor ihr, doch an diesem Tag ließ sie nicht locker, bis Y’shtola genervt nachgab: „Schon gut, ich werde vorsichtig sein, aber bitte lass mich jetzt endlich schlafen.“ Y'mhitra glaubte ihr nicht und sagte etwas, an das sich Y’shtola noch gut erinnerte.

„Schwester, wird es nicht Zeit, dir einen Partner zu suchen? Ich weiß, du bist stark, aber mit jemandem an deiner Seite wäre dein Leben bestimmt leichter und angenehmer.“

Y’shtola nippte elegant an ihrem Tee, um sich nichts anmerken zu lassen. Ihre beiden Freundinnen, die auf eine Antwort warteten, speiste sie mit folgenden Worten ab:

„Ich glaube ... das behalte ich lieber für mich.“

Lyse und Alisaie beugten sich zueinander und flüsterten aufgeregt: „Jetzt macht sie es aber spannend. Wenn sie nicht darüber reden möchte, kriegen wir es bestimmt nicht aus ihr heraus.“

Y’shtola ignorierte die beiden geflissentlich und griff nach der Teekanne. Da vernahm sie Schritte auf sie zukommen und blickte auf.

„Oh, besser spät als nie.“

Lyse und Alisaie verstummten und drehten ihre Köpfe. Da stand ... ihre gute Freundin, die Kriegerin des Lichts.

„Ah, sehr schön. Was möchtest du bestellen? Die Obsttörtchen kann ich sehr empfehlen.“

Die gesellige Runde war noch lange nicht zu Ende ...